Das Harvard Business Review veröffentlichte im April 2002 einen Artikel von Darrell K Rigby, der den Titel trug: “look before you lay off” (etwa: Hinschauen bevor man entlässt). Er wurde hilfreicherweise im April
2020 erneut gedruckt. Der Artikel handelt von der Wirtschaftskrise des Jahres 2000 und analysiert die Daten von denjenigen Unternehmen des Standard & Poor‘s 500-Aktienindex, die insgesamt rund 500.000 Mitarbeiter entlassen hatten, und vergleicht diese mit den Unternehmen, die keine Entlassungen durchgeführt hatten.
Die Schlussfolgerungen: „Wiederholter Stellenabbau im großen Stil ist symptomatisch für fehlerbehaftete Strategien, die unweigerlich unterdurchschnittliche Resultate liefern.“ Und: „Führungskräfte sollten alle Möglichkeiten, mit der Krise umzugehen, sorgfältig prüfen, bevor MitarbeiterInnen entlassen werden, insbesondere wenn sie planen, wieder massiv einzustellen, sobald sich die Wirtschaft erholt. Die klügsten Firmen stellen sicher, dass sie die richtigen Probleme auf die richtige Weise behandeln, bevor sie Personal über Bord werfen.“ (Hervorhebung von mir)
Jetzt sind wir 18 kurze, ereignisreiche und produktive Jahre weiter. Und was haben wir gelernt? In vielen Fällen exakt gar nichts. Das ist sehr deprimierend. Vor wenigen Tagen hörte ich, dass die Personalchefin eines sehr großen Unternehmens ihre Zeit damit verbringt, aktiv nach vertraglichen Schlupflöchern bei Kündigungen zu suchen, um nicht die vollen Abfindungssummen zahlen zu müssen, die sie den Leuten schuldet, die sie gerade wegen schlechter Verkaufszahlen entlässt. Das ist aus mehreren Gründen haarsträubend. Eine Personalchefin ist so überwältigt, dass sie völlig triviale Angelegenheiten zu lösen versucht, während das Unternehmen mit schwerwiegenden und potentiell fatalen Problemen konfrontiert ist. Ohne Gedanken an die Zukunft, ohne eine nennenswerte Strategie. Entsetzlich!
Leider ist sie nicht die einzige. Es ist nicht sehr beruhigend, zu sehen, dass die fiesen Personalabteilungen gesund und munter sind und auch noch glauben, einen tollen Job zu machen, indem sie den Unternehmen etwas Kleingeld sparen – während sie deren ganze Zukunft in Gefahr bringen! Hier folgen ein paar Statements, von denen ich eigentlich nicht gedacht hatte, sie im Jahr 2020 noch aufschreiben zu müssen:
- Wenn die MitarbeiterInnen in dem oben erwähnten Unternehmen ihre Führungsriege nicht ohnehin schon verachten, dann tun sie das sicher jetzt. Wie kann man einer Personalabteilung vertrauen, die sich alle Mühe gibt, den Leuten das Leben schwer zu machen, während sie nichts dafür tut, das Unternehmen zu schützen und dessen Zukunft zu sichern? Jetzt ist die Zeit, Leute zu beruhigen und in ihre Zukunft zu investieren.
- Wir erleben gerade eine äußerst schwierige Phase, aber diese Phase wird ein klares Ende haben, das nur einige Monate entfernt ist. Der Fokus ist nur auf dem Kurzfristigen – die nächste Woche, den nächsten Monat – während er auf der kommenden wirtschaftlichen Erholung liegen sollte. Wenn man sich erst dann Gedanken um die Zukunft macht, wenn es zu spät ist, sich vorzubereiten – sollte man dann wirklich ein großes Unternehmen leiten?
- Es gibt sicher viele MitarbeiterInnen, deren Qualifikationen übertragbar sind. Falls diese im Unternehmen beschäftigt bleiben, weil entschieden wurde, gerade sie nicht zu entlassen, werden sie garantiert so bald wie nur irgend möglich nach einem Job suchen. Ihre Talente, ihr Wissen und ihre Einsatzbereitschaft werden bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aus dem Unternehmen strömen. Diejenigen, die jetzt bleiben, werden völlig demoralisiert und demotiviert sein. Die Produktivität wird ebenso sinken wie die Kundenzufriedenheit, und dann wird es weitere Kürzungen geben, bis nichts mehr übrig ist. In Zeiten wie diesen sind Mitarbeiter in Schlüsselpositionen viel wertvoller als Spalten im Kassenbuch.
- Unternehmen, die Kredite aufnehmen, um diese kurze Unterbrechung zu überstehen, und gleichzeitig für die Zukunft planen und ihren Mitarbeitern versichern, dass sie ihre aktuellen Bedürfnisse ernst nehmen, werden Erfolg haben. Deren Führungskräfte nehmen die Schwierigkeiten wahr, denen ihre Mitarbeiter – seien es Angestellte oder externe Dienstleister – zurzeit ausgesetzt sind, während sie sich im Homeoffice um Kinder, Partner, Haustiere und alles Weitere kümmern und gleichzeitig ihre Arbeitskraft bestmöglich dem Unternehmen zur Verfügung stellen.
Es ist sehr schwer zu glauben, dass hochbezahlte Führungskräfte ihre Finger nicht aus dem Kassenbuch lassen können und gleichzeitig das generelle, langfristige Wohlergehen des Unternehmens aus dem Auge verlieren. Sie sollten sich auf die strategischen Probleme konzentrieren, mit denen sie konfrontiert sind. Unternehmen mit umfänglichen Ressourcen und der Möglichkeit, zur kurzfristigen Überbrückung Geld zu leihen, sollten ihre MitarbeiterInnen dazu ermuntern, so kreativ wie möglich zu sein, und sie ermutigen, die alltäglichen Probleme zu lösen. Dies wird Loyalität aufbauen und Raum bieten, scharf darüber nachzudenken, was mittel- und langfristig getan werden muss. Diese Unternehmen werden schnell wieder auf die Füße kommen, wenn sich die Situation in einigen Monaten wieder ändert.
Es gibt eine simple Wahrheit, die diese negativen und dysfunktionalen Unternehmen verstehen sollten, und es sollten die Personalchefs sein, die diese Erkenntnis vorantreiben: Geld ist im Moment extrem billig, Talent dagegen ist teuer und wird vermutlich noch teurer werden. Reißen Sie sich zusammen und verfallen Sie nicht in Panik! Wir sollten etwas Fantasie gebrauchen, unsere fähigen und talentierten Mitarbeiter behalten, und anfangen, langfristig zu denken.
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